Detail
Forum C
Die kommunale Arztpraxis – Notwendigkeit oder Systemfehler?
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Dr. Rico Badenschier
Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Schwerin -
Claudia Bernhard
Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz der Freien Hansestadt Bremen -
Mark Barjenbruch
Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN)
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Anja Heyde
Moderation

Sollten sich Kommunen noch stärker in der Gesundheitsversorgung engagieren?
Schwerpunkt im Forum C
Immer häufiger finden Ärzt*innen keine Nachfolge für ihre Praxis. Bürger*innen erwarten dann, dass das Rathaus dafür Sorge trägt, dass die Versorgung im Stadtteil sichergestellt wird.
Thesen und Fragestellungen
- Der Facharztmangel steigt, die Wartezeiten auf Arzttermine werden immer länger. Nicht nur sozial schwache Stadtteile sind immer öfter unterversorgt.
- Städte werden immer häufiger gefordert, bei der Sicherstellung ärztlicher Versorgung zu unterstützen. Sie drohen Ausfallbürgen zu werden.
- Lösungsmöglichkeiten könnten zum einen in einer besseren gesetzgeberischen Struktur- und Zuständigkeitsklärung inklusive adäquater Finanzierung liegen. Zum anderen bestehen Chancen in einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen Kommunen, kassenärztlichen Vereinigungen und anderen Akteuren im Gesundheitswesen. Die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, kann nur gelingen, wenn alle relevanten Akteure gemeinsam hieran arbeiten.
- Wollen wir als Städte diese Aufgabe auch noch schultern? Können wir uns verweigern?
Worum geht es?
Anders als bei der stationären Gesundheitsversorgung durch Krankenhäuser haben die Kommunen keinen Sicherstellungsauftrag für die ambulante Versorgung. Dieser liegt bei den kassenärztlichen Vereinigungen. Dennoch stellen immer mehr Kommunen Ärzt*innen Räume und Personal zur Verfügung. Immer häufiger betreiben Kommunen die Arztpraxis sogar selbst. In diesem Forum soll diskutiert werden, ob Kommunen sich dieser Erwartung entziehen sollen oder welche rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen notwendig sind, um sich stärker in der Gesundheitsversorgung zu engagieren.
Die Verantwortung für die Gesundheitsversorgung in Deutschland liegt bei einer Vielzahl öffentlich-rechtlicher Körperschaften, allen voran Bund, Länder, Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen. Zentral ist auch die Rolle der Kommunen, die immer bedeutsamer zu werden scheint.
Der Bund trägt weitestgehend die Verantwortung für die medizinische Versorgung, hat aber die Steuerung und Finanzierung größtenteils an die Partner der Selbstverwaltung und weitere Institutionen des Gesundheitsbereich delegiert.
Den Kassenärztlichen Vereinigungen obliegt der Sicherstellungsauftrag für die ambulante Gesundheitsversorgung. Sie müssen für eine ausreichende ärztliche Versorgung sorgen, was sowohl die Versorgungsplanung als auch die tatsächliche Sicherstellung der Versorgung mit Haus- und Fachärzten umfasst.
Träger des Sicherstellungsauftrags für die stationäre medizinische Versorgung sind hingegen die Länder zusammen mit den Kommunen.
Die Kommunen betreiben Krankenhäuser, sind für den öffentlichen Gesundheitsdienst verantwortlich und übernehmen fast überall auch die Aufgaben des Rettungsdienstes. Sie spielen zudem eine wichtige Rolle im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung.
Entwicklung der Rolle der Kommunen bei der Gesundheitsversorgung
Die Aufgaben und damit die Rolle der Kommunen im Bereich der Gesundheitsversorgung haben in den letzten Jahren aufgrund unterschiedlicher Entwicklungen stetig zugenommen. Sie haben eine maßgebliche Verantwortung für ihre Bürger*innen und sind die zentralen Ansprechpartner*innen bei Versorgungsproblemen. Droht die Schließung des örtlichen Krankenhauses oder kann keine Nachfolge für die Hausarztpraxis im Ort gefunden werden, ist das ein kommunalpolitisches Thema. Die Bürger*innen haben – unabhängig von formalen Zuständigkeiten – oft hohe Erwartungen an die kommunale Verwaltung, wenn es um die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung geht. Diese Erwartungen können zu einem Druck auf die Kommunen führen, aktiv zu werden, auch wenn sie formal nicht dafür zuständig sind.
Die Kommunen werden vermehrt gefordert, lokale Lösungen zu finden, um die wohnortnahe ambulante medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten. Die demografische Struktur in Deutschland führt zu steigenden Bedarfen an medizinischer Behandlung für eine immer älter werdende Bevölkerung. Gleichzeitig fehlt es an jungen Menschen, die als Fachpersonal in den Arztpraxen als Nachfolger*innen für bestehende Praxen zur Verfügung stehen. Dies könnte langfristig die medizinische Versorgung in ländlichen und städtischen Gebieten gefährden. In dieser Lage sind immer häufiger Kommunen gezwungen, mitzuhelfen, die entstehenden Versorgungslücken zu schließen.
Dazu entwickeln Kommunen Anreizsysteme, um als Standort für niedergelassene Ärzt*innen attraktiver zu werden. Sie unterstützen zum Beispiel bei der Beratung und Vermittlung geeigneter Gebäude, manchmal stellen sie eigene Gebäude zur Verfügung. Das Engagement erfolgt teilweise bereits auch durch eigene Leistungserbringung, etwa durch kommunale Medizinisches Versorgungszentren (MVZ). Dies geht einher mit einer zunehmenden Tendenz, mit der Arbeitsplätze in einem Anstellungsverhältnis für Ärzt*innen im Vergleich zur Selbständigkeit und eigenen Praxen attraktiver werden.
In diesem Bereich liegen Potenziale zum Lösen der Nachfolgeproblematik bei wegfallenden Einzelpraxen. Eine Entwicklung in diese Richtung erfordert jedoch erhebliche Ressourcen und rechtliche Rahmenbedingungen.
Mitbestimmung der Kommunen bei der Gesundheitsversorgung
Die Handlungsmöglichkeiten für Kommunen sind aktuell begrenzt. Die Kommunen haben zum Beispiel kaum Einfluss auf die Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigungen. Gleichzeitig fordern diese zunehmend die Unterstützung der Kommunen bei der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung ein.
Tatsächlich sind Kommunen bereits mit ihren bestehenden Aufgaben bis an die Grenzen ihrer personellen und finanziellen Leistungsfähigkeit belastet. Es stellt sich die Frage, ob sie sich im Bereich der ambulanten Versorgung engagieren sollen, obwohl mit den kassenärztlichen Vereinigungen andere staatliche Strukturen den Versorgungsauftrag haben. Für mehr Mitbestimmung der Kommunen spricht einiges:
Kommunen haben ein besseres Verständnis für die spezifischen Gesundheitsbedürfnisse ihrer Bevölkerung. Durch eine stärkere Mitbestimmung können sie gezielt auf lokale Herausforderungen reagieren, wie zum Beispiel demografische Veränderungen oder besondere gesundheitliche Risiken in bestimmten Bevölkerungsgruppen.
Eine stärkere Rolle der Kommunen könnte die Integration von ambulanten und stationären Gesundheitsdiensten fördern. Dies könnte zu einer besseren Koordination der Versorgung führen und sicherstellen, dass Patient*innen nahtlos zwischen verschiedenen Versorgungsformen wechseln können.
Kommunen sind oft bereits aktiv in der Gesundheitsförderung und Prävention. Eine Mitbestimmung in der ambulanten Versorgung würde es ihnen ermöglichen, präventive Maßnahmen besser zu planen und umzusetzen, um die Gesundheit der Bevölkerung langfristig zu verbessern.
Rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen
Um Kommunen zu ermöglichen, sich stärker in der ambulanten Gesundheitsversorgung zu engagieren, sind gesetzliche Änderungen erforderlich. Sie brauchen mehr Informationsrechte und Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Versorgungsplanung. Nicht zuletzt brauchen sie hierfür auch eine auskömmliche und dauerhaft verlässliche Finanzierung.
Gesprächsrunde
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Dr. Rico Badenschier
Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Schwerin -
Claudia Bernhard
Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz der Freien Hansestadt Bremen -
Mark Barjenbruch
Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN)
Moderation
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Anja Heyde
Moderation